Konzept für Betreutes Wohnen in psychiatrischen Wohngruppen

Vorwort - Betreutes Wohnen

Um den Ansprüchen einer Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Menschen gerecht zu werden, bedarf es eines abgestuften Angebotes verschiedener Hilfeformen. Vollstationäre Aufenthalte können verkürzt werden, wenn ein Betreutes Wohnen den seelisch behinderten Menschen hilft, den Schritt in die weitere Selbständigkeit zu meistern. Den betroffenen Menschen fehlt in der schwierigen Phase des sich Orientierens und des sich Zurechtfindens in der Wirklichkeit des ausserstationonären Lebens eine personenzentrierte Unterstützung, die auch Angebote umfasst, die über die traditionelle medizinische Versorgung hinausgeht und diese auch bündelt. Als sogenannte "Drehtürfälle" landen diese psychisch Kranken andernfalls häufig wieder in der stationären Versorgung.

Seit Eröffnung der Psychiatrischen Aussenwohngruppe Jenny-Marx-Str., die bereits nach relativ kurzer Zeit belegt war, werden immer wieder Anfragen an uns herangetragen, die auf eine Perspektive der Bewohner abzielen. Mit der Verbindung zwischen unserem Wohngruppenangebot und der Möglichkeit eines Betreuten Wohnens im Anschluß könnte dieser bestehenden Nachfrage sinnvoll begegnet werden und es werden gleichzeitig neue Kapazitäten geschaffen. Durch die enge Kooperation mit dem Zentrum für Soziale Psychiatrie Dr. Nowack (ZSP Salzwedel) konnte so ein abgestuftes Therapieangebot entstehen, dass Fachlichkeit, Kontinuität und Entwicklungschancen für die betroffenen Menschen bietet .

Beide genannten Einrichtungen sind in die Psycho-soziale Landschaft der Altmark sehr gut integriert. Nicht nur durch die aktive Mitarbeit in der Psycho-sozialen Arbeitsgemeinschaft (PSAG) besteht eine sehr gute Kooperation mit den zuständigen Behörden, Beratungsstellen und Dienstleistungsanbietern

Die Zielgruppe umfasst Menschen, die aufgrund psychischer Beeinträchtigungen auf Unterstützung und Betreuung angewiesen sind, um in ihrem häuslichen Bereich und ihrem sozialen Umfeld leben können. Voraussetzung ist das Vorliegen einer wesentlichen seelischen Behinderung, wie es im Bundessozialhilfegesetz Unterabschnitt 7 im § 39 Abs. 1 (nun SGB XII) zur Beschreibung des Personenkreises geregelt ist. Diese seelisch behinderten Menschen benötigen nicht mehr die vollstationäre Hilfe, sind jedoch vor der Aufnahme im Betreuten Wohnen in einer vollstationären Einrichtung betreut worden.

Im Einzelnen handelt es sich dabei um folgende psychiatrische Krankheitsbilder:

  • Chronische Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis
  • manisch-depressive Erkrankungen
  • schwere Depressionen
  • Neurosen
  • Persönlichkeitsstörungen
  • Suchterkrankungen

(vgl. auch: Fichtner, Hrsg., Vahlens Kommentare, Bundessozialhilfegesetz, München 1999)

Zur Zielgruppe gehören auch Menschen mit Mehrfachbehinderungen, bei denen die wesentliche seelische Behinderung im Vordergrund steht.

Die genannten Krankheiten gehen alle mit schweren Grundstörungen einher, die zu Beeinträchtigungen in der Selbständigkeit im Umgang mit der sozialen Umwelt führen.

Ausgangspunkt für die Auswahl der zukünftigen Betreuten ist eine vorhergehende Förder- und Rehabilitationsphase im abgestuften Therapieangebot des Psychiatrischen Pflegeheimes und der Psychiatrischen Aussenwohngruppe. Für die Zielgruppe ist eine personelle Kontinuität ein wesentlicher Garant für eine erfolgreiche Eingliederung. Die Betreuungs- und Behandlungskontinuität wird auch in der relevanten Fachliteratur als ein entscheidend wichtiges Postulat angeführt. (Vgl. Prof. Dr. L.Ciompi : "Zur Evalution komplementärer Versorgungssysteme für langfristig psychisch Kranke und Behinderte", in: Fortschritte und Veränderungen in der Versorgung psychisch Kranker, ein internationaler Vergleich, Aktion Psychisch Kranke, Köln 1989, S. 204 )

Ziel der Betreuung soll eine schrittweise Hinführung auf ein alleinverantwortliches Leben außerhalb stationärer Einrichtungen sein. Gerade nach längeren Aufenthalten in stationären Einrichtungen kann selbst die gewollte und im Prinzip mögliche Eigenständigkeit Ängste hervorrufen. Die Vielfältigkeit der Anforderungen des Alltags birgt ohne eine durchdachtes Unterstützungsmanagement die Gefahr der Überforderung und des Scheiterns. Aufbauend auf einem individuellen Betreuungskonzept soll den spezifischen Ressourcen und Defiziten Rechnung getragen werden. Ein wesentliches Ziel dabei ist es, den Betroffenen individuell so zu stabilisieren, dass krankheitsbedingte Grundstörungen, die zu einer Beeinträchtigung im Umgang mit der sozialen Umwelt führen, abgemildert oder im günstigsten Fall ganz überwunden werden.

Klinikaufenthalte oder Rückführungen in stationäre Einrichtungen sollen verhindert werden, ein weitgehend selbständiges Leben in der Gemeinde abgesichert werden. Diese Form der Betreuung soll dem Normalisierungsprinzip der Eingliederungshilfe Rechnung tragen und soweit wie möglich unabhängig von Fremdhilfe machen.

Wesentliche Ziele liegen in der Selbständigkeit bei der Bewältigung des Alltags. Dies betrifft sowohl eine angemessene und wirtschaftliche Haushaltsführung als auch die Tagesstrukturierung und Freizeitgestaltung. Eine regelmäßige Teilnahme an einer externen Arbeits- und Beschäftigungstherapie soll die Trennung von Wohnen und Arbeiten gewährleisten. Ein Wiedereingliederung in eine berufliche Rehabilitations- oder Beschäftigungsmaßnahme soll erreicht werden. Zu den regionalen Ansprechpartnern (z.B. Reha-Berater im Arbeitsamt, berufsbegleitender Dienst der Hauptfürsorgestelle) in diesem Bereich bestehen gute Kontakte . Bedingt durch eine strukturell bedingte hohe Arbeitslosigkeit in der Region sind die Chancen einer Integration von psychisch Kranken auf dem sogenannten 1. Arbeitsmarkt leider als eher gering zu bewerten. Neben einer Tätigkeit in der Werkstatt für Behinderte sind jedoch, durch die positiven Erfahrungen unserer Einrichtung mit Betriebspraktika und arbeitstherapeutischen Einsätzen in Salzwedeler Betrieben, vereinzelt auch weitergehende (Teilzeit-)Arbeitsverhältnisse möglich.

Die Zielstellungen orientieren sich insgesamt an einem ganzheitlichen Menschenbild, so dass die Beratung und Betreuung soziale, emotionale, intellektuelle und praktisch-handwerkliche Fähigkeiten und Fertigkeiten gleichermaßen berücksichtigt. Über diesen Einzelzielen steht übergreifend das Motto Hilfe zur Selbsthilfe, dass den Helfer beauftragt sich auf Dauer selbst entbehrlich zu machen.

Das Betreute Wohnen für seelisch Behinderte versteht sich als ein zielgerichtetes Handlungskonzept, das individuell auf den Einzelfall ausgerichtet ist und eine systematische Betreuungsplanung beinhaltet. Methodischer Schwerpunkt ist dabei die Soziotherapie. Betreuungsinhalte der Soziotherapie sind:

  • Gespräche über die Situation, die Krankheit, die Probleme und Ängste des seelisch Behinderten
  • Herstellen von realistischen Bezügen zur Umwelt bzw. Mindern des Abgleitens in die psychotische Symptomatik
  • Tagesstrukturierende Angebote außerhalb der Wohnung
  • Förderung und Erhaltung von sozialen Kontakten.
  • Erarbeitung von Tages- und Wochenplänen in den lebenspraktischen Bereichen
  • Beratung in finanziellen Dingen
  • Befähigung zur Inanspruchnahme von Dienstleistungen (z.B. Bestellungen aufgeben, Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel)
  • Unterstützung bei den täglich wiederkehrenden Verrichtungen
  • Begleitung und Hilfen bei der Erledigung von Behördenangelegenheiten
  • Anleitung und Unterstützung bei der Verwirklichung der Freizeitgestaltung (Integration in Vereine, Kurse etc.)
  • Vermittlung von ergänzenden Hilfen, z.B. Psychotherapie, Selbshilfegruppen
  • Motivierung und Begleitung (bzw. Kontrolle) zu regelmäßigen Arztbesuchen und Medikamenteneinnahmen
  • Gespräche mit Angehörigen, Nachbarn, Arbeitgebern, Ärzten, etc.
  • Beratung und Hilfe in Konflikt- und Krisensituationen (Kriseninterventionen)

Voraussetzung für eine tragfähige Beziehung zwischen Betreuer und Betreutem ist u.a. eine personengebundene und kontinuierliche Betreuung.

Die Betreuung findet im Wohnbereich der Betroffenen statt und ist somit eine aufsuchende Hilfe. Die Betreuten kennen die Mitarbeiter unserer Wohngruppe, das Haus in der Jenny-Marx-Strasse dient ihnen zusätzlich als bekannte und vertraute Anlaufstelle. Bei Feiern und Festen können sie an den Aktivitäten teilnehmen und haben dadurch einen sozialen Rückhalt.

Die Verwirklichung der beschriebenen Ziele und Inhalte erfordert ein kompetentes und reflektiertes Beziehungsangebot. Die Soziotherapie wird deshalb von einem multiprofessionellem Betreuungsteam unter sozialpädagogischer Leitung durchgeführt. Im Arbeitsfeld Psychiatrie erfahrene Mitarbeiter stehen uns zur Verfügung. Für den Bereich des Betreuten Wohnens wird ein Bezugsbetreuer bestimmt.

Professionelle Arbeit im sozialpsychiatrischen Bereich setzt einen hohen Wissensstand und eine ständige Weiterentwicklung der Kenntnisse voraus. Speziell auf den Arbeitsbereich zugeschnittene Fortbildungsveranstaltungen und übergreifende Themenangebote in Kooperation mit dem Psychiatrischen Pflegeheim Salzwedel (Dr.Nowack) werden sich sinnvoll ergänzen.

Durch Supervision und kollegiale Beratung soll ein hohes Maß an Betreuungsqualität sichergestellt werden.

Eine differenzierte Dokumentation klientenbezogener Daten und therapierelevanter Ereignisse unter strengster Berücksichtigung des Datenschutzes und eine personenzentrierte Therapieplanung sind wesentliche Elemente eines professionellen Qualitätmanagements. Dabei ist der Klient in die Erstellung der Dokumentation und der Therapieplanung umfassend mit einbezogen, um eine optimale Transparenz und Identifikation mit den Zielen herzustellen. Bei der Planung ist zu berücksichtigen, dass klare und überschaubare Ziele formuliert werden. Der Therapie- und Hilfeplan wird regelmäßig fortgeschrieben und überprüft. Die Therapieplanung und Dokumentation bildet auch Grundlage für regelmäßige Entwicklungsberichte. Somit sind die wesentlichen Elemente einer Struktur- Prozess- und Ergebnisqualität beschrieben

Das Hilfeangebot richtet sich an Einzelpersonen oder Paare der o.g. Zielgruppe. Die Betreuung der Betroffenen wird in Wohnungen stattfinden, die vom Träger angemietet und bereitgestellt werden. Die Wohnungen sollen im Stadtgebiet von Salzwedel liegen und möglichst im Umfeld der Psychiatrischen Aussenwohngruppe. Hier gibt es zahlreiche Kontakte zu Nachbarn und Institutionen, so dass ein soziales Netzwerk besteht. Im Jahr 2001 wurde zunächst mit einer (Paar-)Wohnung begonnen und nun soll nach den positiven Erfahrungen sukzessive eine Ausweitung auf später 5 Wohnungen vorgenommen werden. Durch die organisatorische und fachliche Anbindung des Betreuten Wohnens an die Psychiatrische Aussenwohngruppe können Krisen- und Bereitschaftsdienste abgedeckt werden, was einen wesentlichen Vorteil dieser Therapiekette darstellt. Das Hilfeangebot wird mit anderen Hilfeangeboten im Einzugsgebiet systematisch vernetzt, die aktive Mitarbeit in der Psycho-sozialen Arbeitsgemeinschaft des Altmarkkreises bietet dafür beste Voraussetzungen

Das Betreute Wohnen mit einer Anbindung in organisatorischer und fachlicher Hinsicht an eine vollstationäre Einrichtung , fällt gemäß § 100 BSHG unter die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers (vgl auch Fichtner u.a.Bundessozialhilfegesetz 1999, Kommentar) Zwischen dem überörtlichen Sozialhilfeträger und dem Maßnahmeträger muß ein Betreuungssatz verhandelt und vereinbart werden. Die leistungsgerechte Vergütung muß dem Träger des Betreuten Wohnens bei wirtschaftlicher Betriebsführung eine Erfüllung seines Auftrages im Sinne des BSHG ermöglichen. Details der Finanzierung sind Gegenstand gesonderter Verhandlungen.